„Jeder trägt Verantwortung für seine Trauer“


In der Trauergruppe, die die Psychologin und Trauerbegleiterin Silvia Dovits auf der Sonneninsel Seekirchen leitet, finden Eltern und Geschwisterkinder Raum für ihre Trauer. In regelmäßigen Abständen treffen sich Familien, um über ihr verstorbenes Kind zu sprechen. Hier finden Menschen zusammen, denen „das Leben die gleiche Herausforderung gestellt hat.“ Wir haben uns mit Silvia Dovits getroffen um mehr über die Trauergruppe und ihre Arbeit auf der Sonneninsel zu erfahren.

Was macht ihr in der Trauergruppe? Wie kann man sich das vorstellen, wenn man noch unsicher ist, ob man daran teilnehmen möchte?

Die Trauergruppe auf der Sonneninsel gibt es bereits seit 2013 und findet meist ein Mal im Monat, an einem Sonntagvormittag, statt. Sie ist für mich besonders wertvoll, weil hier die ganze Familie auf ihrem Weg der Trauer begleitet wird. Die Eltern treffen sich in der Trauergruppe, während die Geschwisterkinder in dieser Zeit durch eine Pädagogin der Sonneninsel betreut werden. Danach essen wir alle noch gemeinsam, so haben die Eltern genügend Zeit für Austausch und Gemeinschaft und einen sanften Übergang ins Alltagsleben.

Mir ist wichtig, dass die Trauergruppe ein geschützter und vertrauter Ort für die Familien ist, in dem diese behutsam in ihrer Trauer begleitet werden. Es gibt viele Facetten des Trauerns, und eine davon ist es, wieder eine Balance zwischen Trauern und Leben zu finden. Das ist eine große Aufgabe und für manche Eltern zuerst gar nicht vorstellbar. Was Eltern hier aber auch wieder erleben, ist, dass es im Traurigsein wieder ein Lachen geben kann, und dass es im Schmerz tiefe Momente von Verbundenheit, Freude und Gemeinschaft gibt.

Eine Trauergruppe kann eine unglaubliche Unterstützung für die Eltern darstellen. Eltern sind im Austausch mit anderen, die ein ähnliches Schicksal haben, somit ist wirkliches Verständnis und Vertrauen möglich. Es ist oft aber nicht ganz leicht, die Schicksale der anderen Eltern zu ertragen. Dafür müssen Eltern vorbereitet sein, wenn sie neu in die Gruppe kommen. Es gibt daher immer ein Vorgespräch, in dem ich mit den Eltern herausfinde, was ihre Bedürfnisse und Vorstellungen in der Gruppe sind, und was ihnen wichtig ist, dass sie in unserer Gruppe gut aufgehoben sein können.

Wir starten immer mit einer Ankommensrunde, in der die Eltern berichten, wo sie sich im Leben und in ihrer Trauer grade befinden, über welches Thema sie heute sprechen möchten, und vor allem wofür sie sich Unterstützung wünschen. Das sind meist unterschiedliche Themen, wie Gedenktage, Umgang mit der Trauer in Bezug auf Andere und im Beruf, Fragen zu den Geschwisterkindern, etc.

Darf ich meine Trauer so leben, wie ich es möchte? Wie setze ich in der Trauer gute Grenzen zu anderen Menschen? Wie finde ich meinen individuellen Weg in der Trauer um mein verstorbenes Kind?

Derzeit sind in der Trauergruppe ausschließlich Eltern mit onkologischem Hintergrund. Wir überlegen aber die Gruppe zu öffnen, um noch mehr Eltern die Möglichkeit zu geben, einen Ort und Begegnung in ihrer Trauer finden zu können.

Trägt man Verantwortung für die eigene Trauer?

Trauer ist sehr individuell. Manche wollen in einer Gruppe trauern, manche alleine, manche wollen darüber reden, andere nicht. Wie die Trauerarbeit letztendlich passiert, ist die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen.

Trauern ist die Lösung, wie Chris Paul es formuliert. Sie ist wie ein Schiff, dass uns durch unseren Lebensfluss wieder ins Leben zurück führt. Trauern ist auf vielen Ebenen ein anstrengender und unvorhersehbarer Weg. Trauernden wird die Verantwortung für ihre Trauer aber häufig abgesprochen. „Jetzt ist das eh schon so lange her“, „das ist ja nicht mehr gesund noch immer zu trauern“, oder „das Trauerjahr ist vorbei, es ist Zeit zum Alltag zurückzukehren“. Daneben werden noch viele weitere Beurteilungen, Werte und Normen werden von außen an die Eltern herangetragen – meist aus Hilflosigkeit und Betroffenheit heraus.

Trauer hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, wie zum Beispiel

  • von mir als Person (wer bin ich und wie hab ich bisher gelebt)
  • welche Erfahrungen habe ich bisher mit Verlusten/Ereignissen gemacht und wie konnte ich diese bewältigen
  • Wie war meine Beziehung zum Verstorbenen?
  • Wie hat der Tod stattgefunden/wie war der Tod an sich?
  • Wie gut bin ich sozial eingebettet?
  • Wie geht mein Umfeld mit meiner Trauer und mit mir um?
  • Welche Unterstützung erlebe ich im Sterben, Tod und der Trauer?
  • Ist etwas offen geblieben bzw. nicht ausgesprochen worden?
  • Wie konnte ich mich verabschieden? War es möglich, mich zu verabschieden?

Gibt es Rituale die bei der Trauerbewältigung helfen?

Ich bin überzeugt davon, dass Rituale bei der Trauerbewältigung helfen. Die Themen Tod und Sterben sind in unserer Kultur ja bereits in sehr viele traditionelle Handlungen eingebunden. Dazu zählt z.B. die Krankensalbung, die Verabschiedung und Beerdigung, das Anzünden von Kerzen oder der Besuch am Grab – all das sind Rituale unserer Kultur. Darüber hinaus gibt es natürlich viele weitere Möglichkeiten sich individuell und für sich passend mit Ritualen zu verabschieden.

Ich erinnere mich sehr gerne an ein gemeinsames Trauerritual, das wir vor einigen Jahren am Hintersee gemacht haben. Gemeinsam mit den Eltern der Trauergruppe haben wir Schwimmkerzen auf ein Ahornblatt gelegt und die Kerzen ganz langsam mit unseren guten Wünschen auf den See hinaus treiben lassen. Die Stimmung war sehr besonders und hat eines ganz klar gezeigt: Trauer ist ein gesamtkörperlicher Prozess, der dich als ganzes Wesen umfasst. Rituale verbinden unsere Gedanken und den Körper und erfüllen so eine wichtige Funktion. Trauer ermöglicht aber auch eine innere Verbindung mit dem Verstorbenen aufzubauen. Es gibt in mir einen Platz für den Verstorbenen.

Wirkt sich die Art und Weise/ Todesursache wie wir sterben auf die Trauer aus?

Ja, sie wirkt sich sogar sehr stark aus. Es macht einen großen Unterschied, ob man Zeit hatte sich auf den Tod vorzubereiten, Dinge zu klären und anzusprechen und vielleicht noch eine gute gemeinsame Zeit miteinander verbringen konnte, oder eben nicht. All das sind Faktoren die nach dem Tod Auswirkungen haben, und die entweder Trost in der Trauer spenden oder die Trauer erschweren können.

Allen Eltern ist es besonders wichtig, dass Kinder beim Sterben keine Schmerzen haben. Doch auch die vorangegangenen Therapien und Krankenhausaufenthalte sind meist belastend gewesen und werden in der Trauerarbeit hinterfragt. Vor allem wenn der Tod eines Kindes traumatisch war und man sich an schreckliche Bilder des Schmerzes erinnert. Das erschwert natürlich das Erlebte zu verarbeiten. Der Körper macht zu, weil er ein Trauma erlebt hat und sich schützen will. Auch solche Fälle gibt es immer wieder in der Trauergruppe. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern gut begleitet werden, um ein „Wachsen an der Trauer“ überhaupt erst möglich zu machen.

Allerheiligen wird für viele Betroffene als sehr anstrengend und manchmal auch belastend wahrgenommen. Wie kann man gut durch diese „offiziellen Tage“ der Trauer gehen?

Gedenktage wie Geburtstage, Sterbetage oder Weihnachten sind für trauernde Familien und Eltern ganz besonders schwierige Tage. Familienmitglieder, Arbeitskollegen und Bekannte sind meist überfordert und wissen nicht, wie sie mit diesem schwierigen Thema umgehen sollen. Betroffene fühlen sich häufig alleine gelassen. Was hilft, ist Eltern in ihrer Trauer anzusprechen und gemeinsam über das verstorbene Kind zu reden Es ist für die Eltern tröstlich, dass andere Menschen auch noch an ihr Kind denken. Man sollte Trauernden respektvoll, feinfühlig und achtsam begegnen, da sein und zuhören.

Letztendlich gibt es nicht wirklich ein Rezept dafür wie man diese Tage verbringen soll. Manche Trauernde unternehmen Dinge, die sie mit dem Verstorbenen gerne gemacht haben. Das kann ein gemeinsamer Ausflug sein, Zeit mit Freunden verbringen oder auch der Gang zum Grab. Man sollte sich überlegen, was an diesem Tag gut für einen ist und sich erlauben, sich von allgemeinen Ideen „wie man zu trauern hat“ loszulassen. Oftmals berichten Trauernde davon, dass die Gedanken und Ängste vor diesen „offiziellen Trauertagen“ meist schlimmer sind als der Tag selbst. Wichtig ist, sich die Trauer zu erlauben. Denn es ist ok, traurig zu sein. Egal wie lange der Tod zurückliegt.

 

Zur Person:

Silvia Dovits ist klinische Psychologin und systemische Familientherapeutin mit Schwerpunkt auf Trauma und Trauer. Sie betreut seit vielen Jahren die Trauergruppe für Eltern die ein Kind verloren haben auf der Sonneninsel.

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