„Das Schreiben hat mir beim Verarbeiten des Erlebten geholfen!“


Kimberley Reinberger ist Mutter von vier Kindern und war mit ihrer Familie zu Gast auf der Sonneninsel. Was ihr besonders gut gefallen hat, warum sie ein Buch über ihr Leben mit einem schwer behinderten Kind geschrieben hat und wie ihr Alltag so aussieht, hat sie uns in einem bewegenden Interview erzählt.

Hallo Kim, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast uns ein wenig aus deinem Leben als Vierfach-Mama zu erzählen.

Kim: Hallo! Ja es ist immer was los bei uns, ich kann eine große Familie nur empfehlen. Ich bin 36 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Buben und zwei Mädchen.

Was ist das besondere an deiner Familie?

Kim: Mein zweites Kind, meine Tochter Julia ist ein ganz besonderer Mensch. Sie ist acht Jahre alt und schwer mehrfachbehindert. Die Behinderung ist angeboren und ich kümmere mich und pflege Julia seit ihrer Geburt.

Wie ist das Leben mit einem so schwer behindertem Kind?

Kim: Das Leben mit einem besonderen Kind ist nicht einfach, aber deswegen nicht weniger lebenswert. Es gibt das große Glück, es sieht nur anders aus als angenommen. Man hat immer Sorgen, es ist wie ein chronischer Schmerz der nicht vergeht. Julia ist ein kompletter Pflegefall und wird seit kurzem mit der Sonde ernährt. Das ist ein massiver Rückschritt in ihrer Entwicklung und bereitet mir große Sorgen.

Ich mache das meiste selbst und habe nur wenig Unterstützung. Es gibt eine mobile Kinderkrankenpflege, aber generell zu wenig Angebot wo wir wohnen (Niederösterreich). Die Oma und mein Mann unterstützen mich, aber natürlich bin ich den Großteil des Tages alleine für die Pflege und Betreuung aller vier Kinder verantwortlich. Ich habe nie frei. Was mir aber hilft, ist, dass ich gut abschalten kann. Am Abend, wenn ich alles gemacht habe, was ich für Julia tun kann und sie im Bett ist, kann ich mich erholen. Ich lese, schreibe oder tue etwas anderes… das bisschen Normalität tut gut.

Kimberley Reinberger hat ein Buch über ihr bewegtes Leben mit Julia geschrieben. Foto: Privat

Das klingt nach einem sehr bescheidenen Menschen…

Kim: Wahrscheinlich bin ich schon bescheiden, so ein Schicksal und das Leben mit Julia machen demütig. Wir hatten schon mehrere Situationen wo sie in akuter Lebensgefahr war. Das kann jederzeit wieder passieren. Da sieht man, was wirklich zählt im Leben. Wir sind dankbar für das was wir haben. Menschen, die kein solches Schicksal haben, ärgern sich, weil sie im Stau stehen, weil das Kino so voll ist, etc. Sie regen sich über Dinge auf die überhaupt nicht zählen im Leben.

Wie seid ihr auf die Sonneninsel aufmerksam geworden?

Kim: Eine Sozialarbeiterin hat uns eine Liste an Hilfsangeboten gegeben wo auch die Sonneninsel aufgelistet war. Für uns war Barrierefreiheit besonders wichtig, da Julia im Rollstuhl sitzt.

Wir sind jetzt zum zweiten Mal da. Am besten gefällt uns eigentlich, dass die Kinder so super mit den anderen Kindern spielen können und sie niemanden ihre Schwester bzw. die Behinderung ihrer Schwester „erklären“ müssen. Auf der Sonneninsel wird nicht verurteilt oder es werden keine blöden Fragen gestellt. Jeder der hierher kommt ist Betroffener, hat seine eigene Geschichte und sein eigenes Packerl zu tragen.

Julia hat der Besuchshund gut gefallen, das war eine ganz besondere Erfahrung für sie.

Mir gefällt natürlich das wir auf der Sonneninsel bekocht werden und dass wir so viele unterschiedliche Angebote nutzen können. Ich war zum Beispiel das erste Mal in meinem Leben bei einer Massage. Die Entspannung war herrlich. Die Oma hat getöpfert und die Burschen getrommelt und musiziert.

Besonders schätzen wir auch die Gespräche mit anderen betroffenen Familien – es hilft, sich untereinander auszutauschen. Die Sorgen, der Papierkram, die komischen Blicke – jeder erzählt seine Geschichte und doch gibt es immer Parallelen.

Was gefällt dir besonders gut an der Sonneninsel?

Kim: Der grüne Trakt und die Hängematte im Chill out Bereich.

Du hast auch ein Buch über euer Leben mit Julia geschrieben. Wie ist es dazu gekommen?

Kim: Ich habe extrem arge Sachen erlebt. Der Physiotherapeutin von Julia habe ich jede Woche davon erzählt. Sie meinte immer wieder ich solle doch ein Buch über meine Erfahrungen schreiben. Vor drei Jahren habe ich dann tatsächlich mit dem Schreiben eines Blogs (Blog „Hoffen gegen Hoffnung“) begonnen… das hat mir beim Verarbeiten des Erlebten geholfen und ist gut angekommen. Irgendwann habe ich dann die Texte zu einem Buch verarbeitet und mir einen Verlag gesucht. Es ist eine Biografie über unser Leben geworden.

Das Buch zu schreiben war schon schwer, so ehrlich über unser Leben zu erzählen, über dieses massive Leid und die schwierigen Situationen, die ständig passieren. Aber es half auch bei der Verarbeitung des Erlebten. Das Buch beginnt mit Julias Diagnose und geht bis zum sechsten Lebensjahr. Dann war so ein Wendepunkt… ab diesem Zeitpunkt ging und geht es ihr leider immer schlechter.

Kim Reinberger bei einer ihrer Lesungen. Foto: privat

Du hast auch in Seekirchen eine Lesung gehalten?

Kim: Ja genau, ich hatte mittlerweile schon vier Lesungen und bei jeder Lesung war immer jemand zu Tränen gerührt. So auch in Seekirchen. Wenn ich Menschen mit meinen Worten berühren kann inspiriert mich das sehr. Ich freue mich, wenn die Menschen extra zur Lesung kommen um mich und unsere Geschichte zu hören – es ist eine große Ehre. Außerdem möchte ich mehr Bewusstsein für Kinder mit Behinderung schaffen, weil diese meiner persönlichen Erfahrung nach unsichtbar sind.

Wir haben für 2024 das Jahresthema „Wachsen“ auf der Sonneninsel gewählt. Was hat dich persönlich „wachsen“ lassen?

Kim: Gewachsen bin ich sicher extrem in den Jahren mit Julia. Die ganzen Kämpfe, die ich für Julia führen muss(te)… Bürokratie, Papierkram, Pflegestufe, Einsprüche, Klagen, uvm. Wir haben sehr viel gekämpft für sie, auch im Krankenhaus, damit sie einen Platz bekommt und gut versorgt wird. Einstehen und Sprachrohr sein für Jemanden der nicht sprechen kann – all das hat mich persönlich wachsen lassen.

Das Wachsen hört aber nicht auf… auch jetzt ist eine schwere Zeit, aber wir haben keine andere Option, müssen weiterkämpfen. Es gibt natürlich Momente in denen man traurig ist. Die Trauer ist wie eine Schlucht, die darf man nur besuchen. Man darf ins Tal, dann muss man schnell wieder raus, sonst verliert man sich darin.

Liebe Kim, vielen Dank für deine Zeit und das interessante Gespräch mit dir!

Buchtipp:

Hoffen gegen Hoffnung: Julia enabled not disabled 

Eine wahre Geschichte erzählt von der Mutter eines schwer- und mehrfachbehinderten Mädchens. Sie erzählt sehr berührend und doch humorvoll von ihrem ungewöhnlichen Familienleben, von den Kämpfen, der Trauer und der Freude. Auch darüber wie die Diagnose ihr Leben auf den Kopf gestellt und eine Beziehungskrise mit ihrem Ehemann verursacht hat. Wie sie all das als Familie gemeistert haben, erfahren Sie in diesem Buch. Ein lesenswertes Buch für alle.
ISBN: 3991652013

 

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