Es gab viele Momente, vor denen mich keiner „gewarnt“ hat.


Das Team der Sonneninsel ist ständig in Kontakt mit anderen Institutionen und Einrichtungen, um auf vielfältige Art und Weise Hilfe und Unterstützung für unsere Familien anbieten zu können. Wir möchte den Austausch mit Menschen, die von einer Krebserkrankung oder einer anderen chronischen Krankheit betroffen sind, fördern. Wir wollen Lebensumstände besser verstehen lernen und Synergien nutzen. So soll ein Gefühl der Verbundenheit, aber auch neue Perspektiven für unsere Familien und Kinder geschaffen werden.

Eine dieser Initiativen die wir euch vorstellen möchten, ist Kurvenkratzer – InfluCancer, ein Verein zur Förderung des (öffentlichen) Umgangs und der verbesserten Herangehensweise mit der Krankheit Krebs. Gegründet wurde er 2018 von Martina Hagspiel (42) aus Wien, selbst Betroffene, Marketing-Fachfrau und Aktivistin.

Martina Hagspiel hat den Verein Kurvenkratzer – InfluCancer gegründet. Foto: Caro Strasnik

Liebe Martina, seit wann gibt es den Verein Kurvenkratzer – InfluCancer?
Den Verein haben wir 2018 gegründet. Die Motivation dafür war meine persönliche Krankengeschichte. Ich bin 2010 an Brustkrebs erkrankt und als Betroffene hab ich mir sehr schwer getan, meinem Umfeld zu erklären, was mit mir während und vor allem nach der Krebserkrankung passiert ist. Es gab viele Momente, vor denen mich keiner „gewarnt“ hat. Diese hätte ich vermutlich besser gemeistert, wenn ich oder mein soziales Umfeld eben schon früher darüber Bescheid gewusst hätten. Deshalb habe ich mich im Internet auf die Suche nach Erfahrungsberichten gemacht, bin dabei aber nicht wirklich fündig geworden. Aufgrund dessen wollte ich meine Erfahrungen niederschreiben und mit anderen teilen… aus dem geplanten Buchprojekt ist schließlich eine Videoserie geworden und daraus hat sich eben 2018 der Verein Kurvenkratzer entwickelt.

Wie bist du auf die Idee gekommen diesen Verein zu gründen? Was macht ihr?
Wie gesagt, aufgrund meiner persönlichen Betroffenheit. Mir fehlte die Meinung und der Austausch von und mit anderen Betroffenen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Arzt über eine schwerwiegende Erkrankung wie Krebs anders kommuniziert, als ein Patient oder auch Angehöriger.

Man wird von der Medizin aus der primären Behandlung entlassen, aber ohne Hinweis auf mögliche psychische und physische Langzeitfolgen. Davon erzählt kein Arzt, weil dessen Fokus ein anderer ist. Aber von diesen Langzeitfolgen gibt es sehr viele, sei es Rheuma, Fatigue, Ängste, Erschöpfungszustände, Chemobrain, uvm., um nur einige zu nennen. Deshalb wollte ich den Dialog in der Öffentlichkeit starten. Unsere Zielgruppe umfasst aber nicht nur Betroffene bzw. Patienten, sondern auch Angehörige und medizinisches Personal. Wir versuchen den Lebensumstand Krebs in all seinen Facetten zu beleuchten und erklären.

„Egal wie Du über Krebs sprichst. Hauptsache Du tust es.“
Das geschieht durch Videos und Interviews mit Betroffenen und Angehörigen, durch die Kommunikation auf unseren Social-Media-Kanälen, aber vor allem auch durch  Veranstaltungen wie dem geplanten InfluCancer-Kongress oder „Mamma Mia! – mal anders“.  In Anlehnung an die medizinische Bezeichnung „Mammakarzinom“ haben wir zum fröhlichen Kinoabend im Wiener Gartenbaukino geladen, um auf die Bedeutung der Vorsorge für Frauen und Männer aufmerksam zu machen. 700 Gäste folgten diesem Ruf und verkleideten sich wie im Film. Es glitzerte und funkelte im Stil der 70er Jahre und alle trällerten zu den bekannten Songs von ABBA und der Kinosaal wurde zu einer brodelnden Disco.

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Ihr bloggt/schreibt unter dem Hashtag #talkaboutcancer, sprecht Tabus/Klischees/Stereotype im Umgang mit Krebserkrankten offen an. Wie ist das Feedback?
Genau, unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den zahlreichen Facetten einer Krebserkrankung. Das Leben danach ist in der Regel anders als das Leben davor. Aber – und genau das erzählen unsere Interviews – es gibt auch jede Menge positive Erfahrungen. Es entsteht viel Gutes aus dieser Erfahrung, und auch das sollen die Menschen wissen.

Unsere Erkenntnisse sind mittlerweile sehr vielseitig. Wir sind die jungen Wilden und versuchen einen frechen, provokanten Zugang zu finden. Bei uns kommen Menschen zu Wort, die vom Lebensumstand Krebs betroffen sind. Betroffene, das sind für uns nicht nur Patienten, sondern auch Angehörige und Freunde, medizinische Dienstleister und Patientenorganisationen.

Manchmal schießen wir auch über das Ziel hinaus, teilweise auch absichtlich. Sehr viel Beachtung hat uns beispielsweise das Busenwunder-Sujet gebracht.

Gründerin Martina Hagspiel setzt auf Humor und ehrliche Kommunikation. Foto: Kurvenkratzer.at

 

Aber auch auf unseren Social Media Kanälen wie Facebook oder Instagram erhalten wir viele Reaktionen, zuletzt besonders viele zu unserer Serie „Dumb stuff people say“. Wir ecken an, aber damit schaffen wir es auch, dass sich die Leute Gedanken zum Thema Krebs machen.

 

Mit provokanten Postings wollen wir die Menschen zum Nachdenken anregen. Foto: Screenshot FB-Seite Kurvenkratzer

Wie ist die Verbindung zur Sonneninsel, wie wichtig ist es Institutionen miteinander zu vernetzen?
Die Verbindung ist uns sehr wichtig. Wir haben auf inhaltlicher Ebene sehr viele Gemeinsamkeiten. Die Sonneninsel ist ja eine Nachsorgeeinrichtung für (ehemals) schwer und chronisch erkrankter Kinder, Jugendliche und deren Familien. Ihr richtet euer Augenmerk dorthin, wo oftmals niemand hinblickt – auf die Begleitung des Übergangs von einer schweren Erkrankung zurück in einen selbstbestimmten Alltag. So ähnlich ist das bei uns auch, wir haben dieselbe Dialoggruppe. Wir treffen uns auch inhaltlich stark, denn es gibt wenige Projekte, die das Systemische aufgreifen, also das ganze System Familie betrachten und nicht nur die betroffene Einzelperson selbst. Das finde ich schön.

Ihr wolltet ja im Frühjahr euer erstes großes Event den InfluCancer-Event, den ersten Krebsblogger-Event in Wien durchführen. Da hat euch Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie geht ihr damit um? Gibt es schon Pläne für ein neues Event?
Ja, zehn Tage vor unserem ersten InfluCancer-Event gab es den Lockdown, was logischerweise die Absage unseres Events bedeutete. Ziel der Veranstaltung ist es, Krebsblogger aus dem DACH-Raum zu vernetzen, einen Community-Treffpunkt zu schaffen der inspiriert, vernetzt und verbindet.

Wir haben einen neuen Termin im November, müssen aber abwarten wie sich bis dahin alles entwickelt. In Zeiten wie diesen (Anmerkung: Corona) ist das „learning by doing“… wir müssen flexibel bleiben und die weiteren Entwicklungen abwarten.

Liebe Martina, vielen Dank für deine Zeit und den interessanten Austausch!

 

Lesetipp:
Influcancer-Blog
Influcancer-Magazin 

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