Österreich: Kaum Experten für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
Bereits zum 5. Mal fand von 27. 01. bis 02.02.2019 das Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Camp auf der Sonneninsel Seekirchen statt. Geleitet wurde diese logopädische sprachintensive Woche auch in diesem Jahr wieder von Caroline König, MA (Uniklinikum Salzburg MKG) und Bianca Specht-Moser, M.Sc. (Logopädie-Werkstatt, Salzburg). Die beiden Expertinnen luden betroffene Kinder und ihre Eltern auf die „Insel der sprechenden Tiere“ ein. Unterstützt wurden sie von FH-Studentinnen des 5. Semesters der Fachhochschulen für Logopädie Graz und Wiener Neustadt. Die Schwerpunkte in diesem Logopädie-Camp liegen auf fachlich abgestimmte Einzel- und Gruppentherapien. Dabei wird das Zusammenwirken von Sprechen, Bewegen, Spüren und Atmen spielerisch geübt wird.
Schwierig, passende Logopädie zu finden
Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Fehlbildung leben mit einem intensiven Therapiealltag. Die jeweiligen Ausprägungen sind sehr individuell, dementsprechend ist es auch die Therapie. Viele Kinder werden operiert, doch: „mit der OP allein ist es meist nicht getan“, weiß Caroline König. Die regelmäßige, meist wöchentliche logopädische Therapie und das tägliche Üben zuhause gehören für viele Betroffenen zum Alltag dazu. Eines von ca. 600 Babys wird mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildung in Österreich jährlich geboren. „Leider fehlt es an Experten. In Österreich haben wir nur in den einzelnen Bundesländern spezialisierte Zentren für diese Kinder“, fasst Caroline König die Situation für Betroffene zusammen. „Die Schwierigkeit liegt in der weiten Anreise ins Kompetenzzentrum, welche für Kontrollen ok ist, aber nicht um laufende logopädische Therapien, Stillberatungen und Kieferorthopädie zu erhalten.“
Diagnose erst nach mehreren Jahren
Bei manchen Kindern dauert es oft Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. So wie bei der 6-jährigen Luise, die mit ihrer Mama Iris zum Camp gekommen ist. Mama Iris erklärt: „Wir waren bei drei HNO-Ärzten, bis wir endlich wussten, warum Luise sich so schwer mit dem Sprechen tut. Wir haben sechs Jahre lang nicht erfahren, dass man die Gaumenspalte operieren könnte. Man denkt sich immer: Der Facharzt kennt sich aus, zweifelt an der eigenen Wahrnehmung und meint vielleicht, man bildet sich ein, dass das eigene Kind anders spricht als andere Kinder. Da braucht man wirklich viel Geduld und Ausdauer“. Die Diagnose bringt Klarheit und Orientierung, doch die Behandlung wird für viele Kinder und ihre Eltern zu einer Belastung. Iris musste mit Luise ein Jahr lang wöchentlich von Linz nach Salzburg in die Spezialambulanz pendeln, um die passende Behandlung für ihre Tochter zu erhalten.
Neue Anregungen für Zuhause
Eine große Herausforderung stellt die Suche nach einer passenden Logopädin dar. Gemeinsam mit ihrem Sohn Valentin (8) freut sich auch Mama Meike, dass sie Teil des Camps sein darf. Sie erzählt aus ihrem Alltag: „Bei uns zuhause gibt es keine spezialisierte Logopädin für dieses Krankheitsbild. Umso wertvoller ist für Valentin und mich die Zeit beim Camp. Ich sehe zu und notiere mir die Übungen, damit wir in diesen Intensivtagen viel lernen und ich ihn zuhause bestmöglich beim Üben begleiten kann. Für uns Eltern ist es auch sehr hilfreich, in dieser Woche immer wieder nachfragen zu können, was für unsere Kinder jetzt individuell wichtig ist, um sie bestmöglich zu begleiten. Wir freuen uns sehr, von diesen Expertinnen begleitet zu werden. “ Mama Iris stimmt Meike zu. Sie profitiert davon, sich in Ruhe auf die Übungen einlassen zu können: „Ich kann mir wieder eine bessere Struktur für Luise holen. Man lernt ja selbst auch mit und frischt das eigene Wissen auf. Außerdem lernen wir neue Übungen, damit das Training zuhause nicht so einseitig wird.“
Gleichgesinnte: Eine wertvolle Auszeit vom Alltag
Für Mama Meike ist das Camp auch eine kleine Auszeit vom Alltag: „Ich denke ich spreche für alle Eltern! Wir genießen die Zeit zwischendurch sehr, wenn wir mal zum Lesen, Spazieren oder einfach kurz Entspannen kommen, tut das einfach gut. Der Alltag ist ja doch immer sehr hektisch und eingeteilt.“ Für Valentin ist die Zeit auf der Sonneninsel „wie Urlaub“. Das gemeinsame Spielen mit Gleichgesinnten macht ihm viel Freude. Auch Luise empfindet die Woche in Seekirchen „gar nicht wie Therapie, sondern auch eher als Urlaub“. Für Mama Iris ist es „sehr schön, mich mit den anderen Eltern auszutauschen, das hat man ja selten.“ Besonders entlastend finden die beiden Mütter auch das Gefühl, sich „nicht erklären zu müssen“. Mama Iris weiß: „Es ist schon sehr entlastend, wenn niemand fragt: Warum redest du so komisch? Die größte Angst aller Eltern ist der soziale Aspekt. Wenn das Kind als Außenseiter betrachtet wird, weil es anders redet oder anders aussieht.“
In der Gruppe: Spielerisch sprechen lernen
Das lustige Miteinander ist eines der Erfolgsgeheimnisse des Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Camps. Die Logopädin Caroline König weiß: „Das Üben in der Gruppe funktioniert spielerisch und quasi nebenbei. Wir haben uns als Motto ja „Die Insel der sprechenden Tiere“ gewählt und lassen die Kinder lustige Tierlaute nachahmen. Diese Übungen fördern die Lautbildung, ohne wie mühsames Training zu wirken.“ Für die Kinder ist es sehr entlastend beim Camp auch anderen Kinder mit Herausforderungen beim Sprechen zu begegnen. „Ganz wichtig ist auch die Möglichkeit, vor der Gruppe Sprechen zu üben. Im Alter zwischen fünf und zehn Jahren können die Kinder mit Einschränkungen beim Sprechen vieles nachholen. In dieser Zeit wird der Grundstein für ihre Zukunft gelegt. Die Sprache ist die Grundlage des sozialen Miteinanders und gerade darum so wichtig“, erklärt Caroline König die Dringlichkeit der Übungen.
Unterversorgung: Ein Jahr Wartezeit auf Kassenplatz
Insgesamt ist die Logopädie-Versorgung für Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildungen in Österreich schwierig. Auf einen Kassen-Logopäden hat man im Schnitt rund ein Jahr Wartezeit, zudem fehlen spezialisierte Logopädinnen. Die Teilnahme am Camp wird zu fünfzig Prozent durch Spenden der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der SALK Salzburg finanziert, die zweite Hälfte müssen Eltern selbst finanzieren. Beide Mütter sind sich einzig, dass sie zu den Privilegierten zählen, die sich die 800 € pro Woche leisten können. Valentins Mama Meike findet es „sehr schade, dass so eine wertvolle Möglichkeit wie dieses Camp nicht gefördert wird, obwohl in dieser Phase die Zukunft der Kinder mitunterstützt werden kann. Es wäre so wichtig, allen den Zugang zu solchen wichtigen Förderungen zu ermöglichen.“ Mama Iris ergänzt: „Es ist halt wie so oft – alles was gut ist, ist auf Eigeninitiative von einzelnen Menschen entstanden. Wir sind Caroline König und Bianca Specht-Moser unglaublich dankbar für ihren Einsatz!“